Heute bin ich aus dem Bett gestiegen, fest entschlossen, für den Rest des Tages griesgrämig zu bleiben. Jeder kennt das: Tage, an denen man schon vor dem Aufstehen weiss, dass man – zum Wohle der Allgemeinheit und seiner selbst – besser liegenbleiben würde. Grundlos, oder mit Grund. Bei mir gabs Anlass, der tut hier aber nichts zur Sache.
Auf dem Weg ins Büro am Stauffacher erachtete ich es für sinnvoll, in meiner Hausbäckerei einen Zwischenstopp einzulegen. Möglicherweise liesse sich mein Missmut ja mit einem Schoggimaisbrötli in die Schranken weisen. Einen Versuch wars wert, und ich hatte in den vielen Jahren bisher noch keinen einzigen Besuch in der St. Jakobs Bäckerei bereut. Ausser vielleicht demjenigen, an welchem ich mir an einem sonnigheissen Sommernachmittag im zum Bäckereibetrieb gehörenden Strassencafé einen Sonnenbrand holte. Schuld daran waren aber weder der heilige Jakob, noch die emsige Bäckerszunft, sondern einzig und alleine meine Unachtsamkeit und die möglicherweise etwas zu lang geratene Zvieripause.
Die besagte Bäckerei ist Bestandteil der Stiftung St. Jakob, eine Institution, welche Menschen mit Behinderungen beschäftigt und durch dieses Engagement deren Selbstwertgefühl steigert. Was vor 110 Jahren mit einer Korbflechterei für blinde Männer begonnen hat, ist heute ein Sozialunternehmen mit 500 Arbeitsplätzen.
Ich betrat somit das Bäckereigeschäft und fand mich sogleich von den allzu bekannten Dufterlebnissen umzingelt, unterstützt durch visuelle Höhepunkte ausgereifter Backkunst, welche sich Tag für Tag, Blech an Blech in die Auslage quetschen. Jedes Küchlein, Törtlein, Brötlein und Keklsein balzt da jeweils mit Seinesgleichen um die Gunst seines potentiellen Käufers. Scheinbar nicht wissend, dass dieser das Süss-, Salz- oder Scharfgebäck nicht in einer Glasvitrine auszustellen, sondern es bis zum letzten Krümel zu verschlingen gedenkt. Aber wahrscheinlich ist das diesen Leckereien ganz und gar gleich – immer noch besser, als am Feierabend zu Paniermehl zermahlen zu werden oder im Saukübel zu landen.
Item. Heute sollten sich zum obligaten Mais- und Schoggimaisbrötli noch ein Mittagessen dazugesellen. Weit oben in meiner Gunst stehen da jeweils die Schinkengipfel und Wurstweggen. Beide wahrhaftig reich befrachtet und jeden Rappen ihres Preises wert. Ich wartete geduldig, stand da vor mir doch noch eine Dame, welche ebenfalls Backware begehrte. Kundenseits waren wir demzufolge zu zweit im Laden, Verkaufspersonal etwa doppelt so viel. Keine Seltenheit im Betrieb, aber auch kein Grund sich zu beklagen. Da erblickte mich plötzlich Juan* (*Name der Redaktion unbekannt), junger Bursche, Typ Jamaikaner, offensichtlich neu hier, es aber gerade deshalb besonders gut machen wollend: “Tschuldigung fürs Warte, was därfs sii?” – “Gern zwei Wurschtwegge und zwei Schinkegipfel.” (Zwei hungrige Mäuler wollten gestopft sein.) “Söll ichs Ihne warm mache, ässed Sies grad?” Äh, nein, es war gerade 9 Uhr, und… “Nenei, merci, ich nimes gern mit.” Mit etwas klammen Fingern ergriff der junge Mann darauf mit seiner Greifzange die besagten Gebäckstücke, packt erst eines, dann ein zweites auf einen Kartonteller. Dass er Mühe damit hatte, war bei diesen zittrigen Händen nicht verwunderlich. Mit der Absicht, ihn von seinem Leiden zu erlösen, sagte ich ihm, dass er mir die Sachen doch einfach in eine grosse Papiertüte packen möge. “Nenei! Ich will ihne/Ihne doch echli Komfort büüte!” Ob er nun mich oder die Wurstweggen meinte, war aus seiner Aussage nicht eindeutig herauszuhören. Vollkommen egal: Mit diesem einen Satz hatte mir der nette Bursche den Tag gerettet! “Das find ich super, danke vielmal!” war meine Antwort mit aufgefrischtem Gemüt und mich als Kunden hier wohlbehütet wissend. Endlich einmal jemand, der seinen Job ernst nimmt!
“Ischs rächt, wänn ich es Pergamäntpapier drumumetuen und e Serviette mitgibe?” fragte er mich, während er mit der Zange (!) Blätterteigbrösmeli vom Kartonunterteller klaubte, die sein Servicekonzept zu stören schienen. Mit einem inneren Lachen und einem äusserlichen Lächeln bejate ich höflich und bedankte ich mich für dieses grosszügige Angebot. Gleichzeitig versuchte ich auszurechnen, ob wohl bald meine Parkuhr ablaufen würde, da es doch noch zwei Schinkengipfel und vier Brötli einzupacken galt. Juan zeigte sich jedoch nach anfänglichen Schwierigkeiten bereits deutlich entspannter und verstaute die zwei Schinkengipfel, beinahe wie ein alter Meister, auf einem Kartonteller, in Pergamentpapier, mit Extra-Servietten, zusammen mit den Wurstweggen in einer grossen Papiertüte. “Sehr guet!” lobte ich ihn, was er mit einem verschämten Lächeln quittierte. “Aber die zwei Mais- und Schoggimaisbrötli därfed Sie mir würkli eifach inen Papiersack tue”, ergänzte ich. Bewusst nicht zu forsch, um den eifrigen Kerl nicht zu brüskieren, und um seine löblichen und vorbildlichen Umgangsformen dabei nicht im Keime zu ersticken. “Das isch nett, dass Sie das säged!” gluckste Juan fröhlich und wohl gleichzeitig auch etwas erleichtert. Fluggs packte er alles zusammen in eine Plastiktragtasche, “dänn macht das…” er nannte mir einen Preis, der angesichts der stolzen Menge Gebäck und dem wohlwollenden Rundumservice mit grossem Unterhaltungswert mehr als angebracht zu sein schien. “Viele, herzliche Dank und bis zum nächschte Mal!” grinste er mich an, “Merci vielmal, ganz bestimmt, ufwiederluege!” ich zurück. Beschwingt verliess ich das Ladenlokal und war glücklich, der frühmorgendliche Griesgram wie weggeblasen. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die einen fröhlich zu stimmen vermögen. Man muss es nur zulassen und erwidern können, denke ich mit Frohmut, der sich auch jetzt wieder in mir breit macht, wenn ich an Juan denke.
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